Nachahmungen - Kampf gegen Plagiate
Original oder Fälschung? Damit müssen sich viele erfolgreiche Unternehmen herumschlagen. Denn immer wieder tauchen auf dem Markt billige Kopien ihrer Produkte auf. Der Schaden ist immens. Wir haben mit Betroffenen gesprochen.
Mitte März sorgte diese Meldung für Aufsehen: Der Werkzeughersteller Knipex geht rechtlich gegen einen namhaften deutschen Lebensmitteldiscounter vor. Dieser habe, so der Vorwurf, in seinem Non-Food-Bereich eine Kopie eines Schaltschrankschlüssels der Wuppertaler Firma verkauft und dabei Patentrechte verletzt, wie Knipex-Geschäftsführer Ralf Putsch der Deutschen Presse-Agentur sagte. Mit dem Werkzeug lassen sich zum Beispiel Heizungs-, Sanitär- oder andere technische Anlagen öffnen und schließen. Knipex hat den Discounter und den Importeur des Werkzeugs abgemahnt. Das Unternehmen wurde aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen und den Schaltschrankschlüssel unter einer Eigenmarke nicht weiter zu verkaufen. Eine inhaltliche Stellungnahme des beschuldigten Discounters gab es – mit Verweis auf die laufenden rechtlichen Auseinandersetzungen – zunächst nicht.
Mehrere Wochen später schüttelt Putsch im Gespräch mit der „Bergischen Wirtschaft“ noch immer den Kopf: „Es ist mir unverständlich, dass ein Unternehmen dieses Formats nicht genauer hinschaut, was es an Importen aus China in seine Läden bringt.“ Denn aus China, das steht für Putsch fest, kommen die besagten Schaltschrankschlüssel, die eine „extreme Ähnlichkeit zu unserem Produkt made in Germany aufweisen“. Der Wuppertaler spricht von einer „groben Nachlässigkeit“ auf Seiten des Discounters. Für Knipex ist dieser Fall auf deutschem Boden bislang einmalig. Zwar macht der weltweit tätige Zangenspezialist häufiger Erfahrungen mit Patentverletzungen und Plagiaten – „da stehen aber meist Plattformen wie Temu und Ebay im Fokus“.
Häufig geht es, wie im Rechtsstreit mit dem Discounter, um geschützte Designs und angemeldete Patente. Doch auch „echte Fälschungen“ – ja, die Formulierung erscheint kurios –, sind für Knipex ein Problem. Gemeint sind Zangen und andere Werkzeuge, die auf den ersten Blick und ganz bewusst optisch kaum von den Originalen zu unterscheiden sind und sogar Aufschriften und Logos imitieren. „Solche Fälschungen tauchen vor allem im Nahen Osten auf – Herkunftsland ist so gut wie immer China“, so Putsch. Mit großem Aufwand gehe man dagegen vor. „Um Fälschungen zu entdecken, sie aus dem Handel zu ziehen und die Verkäufer und Hersteller zu belangen, sind unter anderem Detektive und spezialisierte Anwaltskanzleien vor Ort erforderlich.“ Auch in den Ländern des Nahen Ostens und in China gebe es natürlich rechtliche Grundlagen, um gegen Fälschungen und Fälscher vorzugehen. „Das Recht aber tatsächlich durchzusetzen, ist mit sehr viel Aufwand und hohen Kosten verbunden“, so Putsch.
Unterm Strich belaufe sich der weltweite Schaden für Knipex „auf eine siebenstellige Summe im Jahr“. Auch deswegen ist Putsch daran gelegen, das Problem öffentlich zu machen. Dazu gehört auch, dass Anfang des Jahres der Negativpreis „Plagiarius“ von der Aktion Plagiarius e. V. an zwei Online-Händler verliehen worden war – und zwar für den Vertrieb von billigen Nachahmungen der Front- und Seitengreifzange „Knipex TwinGrip“. Auch die entsprechende Plattform selbst erhielt bereits zum zweiten Mal den Negativpreis, weil die Betreiber nach Ansicht der Jury zu wenig proaktiv gegen Plagiate und Fälschungen vorgehen.
Der Handel mit Billigprodukten und Plagiaten boomt: Allein im vergangenen Jahr erreichten vier Milliarden zollfrei deklarierte Waren aus Drittstaaten die EU. Wie die Aktion Plagiarius mit Verweis auf offizielle Quellen mitteilt, verstoßen mehr als 85 Prozent der Produkte von Online-Plattformen wie Temu, Shein und Alibaba gegen EU-Sicherheitsstandards und -Vorschriften. „Der Erfolg von Billigprodukten basiert auf Akzeptanz und hoher Nachfrage“, heißt es vom Verein. „Und auf mangelnder Kontrolle und Sanktionierung, sowohl der Anbieter, als auch der Plattformbetreiber, die das Anbieten nicht ausreichend unterbinden.“
Auch die Wirtschaft im Bergischen Städtedreieck ist massiv betroffen, wie nicht nur das Beispiel Knipex deutlich macht. „Plagiate sind ein anhaltendes Problem in unserer Branche“, sagt Hartmut Gehring vom gleichnamigen Solinger Schneidwaren-Hersteller. „Immer wieder werden unsere Produkte nachgeahmt, was sowohl wirtschaftliche als auch reputative Schäden verursacht.“ Sobald die Gehring GmbH eine Nachahmung feststellt, geht sie entschieden dagegen vor. „Wir setzen auf strafbewährte Abmahnungen und arbeiten eng mit der Wettbewerbszentrale zusammen. Diese konsequente Vorgehensweise hat sich bewährt und ist auf dem Markt bekannt. Unsere Schutzrechte sind eine essenzielle Verteidigungslinie, um Plagiate bereits im Vorfeld zu verhindern.“
Gerade auf Fachmessen ist das Risiko von Plagiaten hoch. „Daher zeigen wir unsere Neuheiten erst am Messestand und vermeiden eine vorzeitige Presseveröffentlichung.“ Findet man dennoch ein Plagiat, ist der Aufwand enorm: „Allein die ersten Schritte binden uns für rund drei Tage. Rechtliche Verfahren ziehen sich oft über Jahre hin. Die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung birgt zudem Risiken, da bei einem negativen Ausgang der Kläger der Gegenseite den entgangenen Gewinn ersetzen muss. Hier wäre eine beschleunigte Entscheidungsfindung durch die Gerichte wünschenswert“, sagt Gehring.
Als besonders ärgerlich ist ihm ein Fall in Erinnerung geblieben, „in dem wir in erster Instanz vor dem Landgericht vollumfänglich gewonnen haben, die Gegenseite jedoch in Berufung ging, nur um Zeit für den Abverkauf der fraglichen Ware zu gewinnen“. Solche Verzögerungstaktiken seien nicht nur unfair, sondern auch wirtschaftlich schädlich.
Besonders im Online-Handel beobachte man häufig, dass Ware falsch deklariert werde, beispielsweise mit irreführenden Angaben wie ,Made in Germany‘ oder ,German Steel’. „Dies führt zu Fehlkäufen und schadet unserem Ruf als Qualitätsanbieter“, so Gehring. Auch wenn die genaue Schadenshöhe schwer zu beziffern sei – die Auswirkungen seien auf jeden Fall erheblich. Für die Brüder und Geschäftsführer Hartmut und Volker Gehring ist vor allem der Schutz der Jahrhunderte alten Marke „Solingen“ für die hiesige Schneidwarenindustrie essenziell. „Er sichert unseren weltweiten Ruf für Qualität und Herkunft. Sollte dieser Schutz nicht konsequent durchgesetzt werden, geraten die Investitionen der Solinger Unternehmen in Gefahr“, sagt Hartmut Gehring. „Nur durch strenge Einhaltung und Kontrolle können wir sicherstellen, dass ,Made in Solingen’ weiterhin ein Garant für erstklassige Schneidwaren bleibt.“
Der Hintergrund: Zwar ist der Name „Solingen“ als geographische Bezeichnung in Deutschland gesetzlich und in den meisten Staaten der Welt durch wettbewerbsrechtliche Vorschriften geschützt. Dennoch gibt es zahlreiche Missbräuche der berühmten Bezeichnung. In sogenannten Billiglohnländern werden Schneidwaren hergestellt „und schamlos mit dem berühmten Namen versehen“, wie Dr. Andreas Leweringhaus vom IHK-Geschäftsbereich Starthilfe, Unternehmensförderung, Recht erklärt. Diese Fälschungen können zu einem Bruchteil der Kosten angeboten werden, zu dem der bergische Unternehmer produzieren kann. In Deutschland schützen das Markengesetz, die Verordnung zum Schutz des Namens Solingen sowie das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb den berühmten Namen.
Schneidwaren, die mit „Solingen“ gekennzeichnet sind, müssen in allen wesentlichen Herstellungsstufen innerhalb des Solinger Industriegebiets (dazu zählt neben der Stadt Solingen auch die benachbarte Stadt Haan) bearbeitet und fertiggestellt worden sein. „Zudem müssen Rohstoff und Bearbeitung geeignet sein, ihren arteigenen Verwendungszweck zu erfüllen. Das heißt, Schneidwaren dürfen den Namen Solingen selbst dann nicht tragen, wenn sie zwar in dieser Stadt hergestellt wurden, aber den erforderlichen Qualitätsstandard nicht erfüllen“, so Leweringhaus. Nach der Solingenverordnung gehören neben Scheren, Bestecken, Messern und Klingen auch weitere „Tafelwerkzeuge“ wie Tortenheber oder Nussknacker zu den Schneidwaren. Außerdem fallen Rasiermesser, Haarschneidemaschinen, andere Körperpflegegeräte sowie blanke Waffen zum Schutzbereich der Regelung.
„Die Solingenverordnung ist für einen Messerhersteller wie uns, der fest zu Solingen steht, von großer Bedeutung“, betont Dr. Karl-Peter Born. „Daher unterstützen wir auch gerne den ,Solingen Fonds’, mit dem die Bergische IHK gegen Markenpiraten vorgeht, die versuchen, mit dem guten Namen Solingens leicht Profite zu erzielen.“ Born hat sein Unternehmen zwar Anfang 2025 verkauft, steht der Franz Güde GmbH aber weiterhin als Berater zur Verfügung. Als Unternehmer sowie als Vorsitzender des Museums Plagiarius e. V. in Solingen ist er mit dem Plagiatsthema bestens vertraut. „Vor rund 20 Jahren wurde unsere später so erfolgreiche Messerserie Alpha in China kopiert und zunächst von deutschen Firmen importiert“, erzählt er. „Diese konnten wir auf Grund eines Geschmacksmusterschutzes erfolgreich abmahnen. Danach haben chinesische Firmen das Modell in Frankfurt auf der Messe gezeigt. Auch diese haben wir erfolgreich abmahnen können.“
Der Ärger über die „Dreistigkeit der Nachahmer“ und die beiden Firmen, die Messer importiert hatten, war groß. „Ohne Geschmacksmusterschutz wäre ein erheblicher Schaden für unsere Firma entstanden“, so Born. Bei neuen Messermodellen meldet das Unternehmen daher immer einen Geschmacksmusterschutz an und versucht, beim Design Merkmale einzubauen, die sich nur schwer oder mit recht großem Aufwand – und damit unwirtschaftlich – nachahmen lassen. Güde ist laut Born in der letzten Zeit von Nachahmungen und Fälschungen in großen Stil verschont geblieben. „Aber ich sehe natürlich, dass das Thema nicht an Brisanz verloren hat.“
Unredlich nachgemacht wird so gut wie alles, was sich verkaufen lässt. Die Bandbreite reicht von Luxusbekleidung über Medikamente bis hin zu Produkten in Küchenschubladen und Badezimmern. So stellte beispielsweise der Zoll auf der zurückliegenden Internationalen Sanitär- und Heizungsmesse (ISH) in Frankfurt 493 potenzielle Plagiate fest und leitete 14 Ermittlungsverfahren ein. Bei den rund 40 sichergestellten Ausstellungsstücken handelte es sich um Pumpen, Duschköpfe, Handbrausen, Wasserhähne und Auszugsarmaturen, die mutmaßlich gegen das Marken-, Design- oder Patentrecht verstoßen. Sie wurden überwiegend bei chinesischen, in geringem Umfang auch bei türkischen Ausstellern präsentiert. Daneben wurden etwa 450 Kataloge mit Abbildungen der potenziellen Fälschungen sichergestellt.
Manche Plagiate sind – mehr oder weniger unerkannt – auf deutschen Straßen und Radwegen unterwegs. Davon kann die Rixen & Kaul GmbH in Solingen leider ein Lied singen. „Wir sind immer wieder von Plagiaten betroffen. Kopiert werden einzelne technische Komponenten, aber auch komplette Produkte wie Adapter oder Taschen und Körbe“, berichtet Daniel Rixen, Geschäftsführer des Unternehmens, das sich auf Schnellbefestigungs-Lösungen an Fahrrädern spezialisiert hat („Klickfix“).
Die Solinger gehen sowohl präventiv als auch reaktiv vor: „In jedem Fall melden wir für alle unsere Produkte Geschmacksmuster an“, so Geschäftsführerin Britta Kaul. „Im besten Fall existieren auch Patente. Hier liegt der zeitliche und finanzielle Aufwand allerdings sehr hoch; und je stärker ein Markt entwickelt ist, desto schwieriger wird es auch, technische Lösungen anzumelden, aus denen ein starkes Patent hervorgeht.“
Wird man auf eine unlautere Nachahmung aufmerksam, „sind wir auch gezwungen, dagegen vorzugehen. Untätigkeit oder die Duldung von Nachahmungen führt letztlich dazu, dass die verletzten gewerblichen Schutzrechte zukünftig schwieriger durchsetzbar sind“, sagt Kaul. Das Vorgehen sei in jedem Einzelfall individuell, „jedoch versuchen wir, im ersten Schritt den Aufwand für alle Beteiligten möglichst gering zu halten und starten beispielsweise mit einer Berechtigungsanfrage an die Gegenpartei“, so Rixen. „Eine Klage ist, selbst wenn wir eindeutig im Recht sind, die letzte Option, die wir auch möglichst vermeiden wollen. Hier sind Kosten und auch der zeitliche Aufwand außerordentlich hoch und stehen teilweise in keinem gesunden Verhältnis zum Schaden.“
Wünschenswert wäre laut Rixen und Kaul eine Vereinfachung und Beschleunigung von Anmeldungen und Verfahren, unter anderem durch stärkere Digitalisierung der Prozesse und spezialisierte Gerichte. „Eine Erstberatung von öffentlicher Seite vor dem Einschalten von Anwälten wäre – gepaart mit einer Gebührenreduzierung – gerade für kleinere Unternehmen hilfreich, um ihre Rechte zu kennen und durchzusetzen“, meint die Geschäftsführerin. Am meisten ärgert sich das Unternehmer-Duo über Schutzrechtverstöße von Marktteilnehmern, „die es eigentlich besser wissen müssten“.
Dazu nennt Rixen zwei Fälle aus der jüngeren Vergangenheit: „Ein bekannter deutscher Markenhersteller hat ein von uns entwickeltes und patentiertes Befestigungssystem unmittelbar nach Erlöschen unseres Patents 1:1 nachgebaut. Das i-Tüpfelchen war dann, dass der Hersteller seinen Nachbau wiederum zu einem gänzlich wertlosen Patent angemeldet hat. Ein anderer, ebenfalls in Deutschland beheimateter Hersteller, hat kürzlich eines unserer erfolgreichsten Produkte bis in unwesentliche Details kopiert und auf den Markt gebracht. Abgesehen vom äußerst zweifelhaften Geschäftsgebaren hätte der Hersteller allen Parteien viel Arbeit und Geld sparen können, wenn er sich vorher darüber informiert hätte, dass wir für das Produkt sowohl ein Geschmacksmuster als auch ein Patent besitzen.“
Auch für Unternehmer Putsch von Knipex kommt es nicht infrage, „das Los des Marktführers zu akzeptieren“ und Kopien auf dem Markt einfach hinzunehmen. „Wir haben einen guten Ruf zu verteidigen und müssen das starke Qualitätsimage unserer Marke und unsere Rechte schützen.“ Und was hält er von dem oft zitierten Spruch, dass Nachahmung die ehrlichste Form der Schmeichelei sei? Die Antwort ist eindeutig: „Plagiate haben für mich keinerlei Komplimentscharakter.“
Text: Daniel Boss