Nachfrage - Kein Kavaliersdelikt
Christine Lacroix ist Sprecherin der Aktion Plagiarius und des Museums Plagiarius in Solingen, in dem Originalprodukte und Fälschungen gegenübergestellt werden. Sie hat eine klare Botschaft.
Frau Lacroix, ein Museum ist nur dann erfolgreich, wenn seine Inhalte faszinieren. Was macht die Faszination von Fälschungen aus?
Die Faszination kommt über die starken Marken, die kopiert werden. Sie stehen unter anderem für anwenderfreundliche Funktionalität, überragendes Design und sichere Anwendbarkeit. Ihre Attraktivität gepaart mit Mehrwert und Zuverlässigkeit machen die Markenprodukte so erfolgreich und begehrt. Und genau das rückt sie ins Visier der Fälscher. Letztere sind dabei immer auf der ,sicheren Seite’, denn sie gehen keinerlei unternehmerisches Risiko ein. Geschädigt werden die innovativen Unternehmen, die viel Zeit, Geld und Know-how in Entwicklung und Marketing stecken. Und die mit ihren Innovationen Arbeitsplätze, Fortschritt und Wohlstand sichern.
Von welchen Zahlen sprechen wir, wenn es um Fälschungen geht?
Im Jahr 2023 wurden an den EU-Außengrenzen und im Binnenmarkt mehr als 152 Millionen gefälschte Artikel beschlagnahmt. Das sind die offiziellen Angaben der Europäischen Kommission und des EU-Amts für geistiges Eigentum, kurz EUIPO. Diese Fälschungen haben einen Gesamtwert von 3,4 Milliarden Euro – und wir sprechen hier nur von den Produkten, die den Behörden ins Netz gegangen sind. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Und die Tendenz ist steigend: Sowohl bei der Anzahl der Waren als auch beim Warenwert sind zwischen 2022 und 2023 enorme Sprünge nach oben erkennbar.
Ohne Nachfrage kein Angebot – welche Rolle spielen die Käufer?
Teilweise leider eine unrühmliche. Wer Plagiate oder Fälschungen kauft, schadet damit der Wirtschaft und unterstützt teilweise sogar kriminelle Gruppierungen, die auch in anderen Bereichen wie Menschen-, Drogen- oder Waffenhandel aktiv sind. Von einer großen Naivität auf Nachfrageseite kann heutzutage nicht mehr ausgegangen werden: Wer ein Produkt für einen Bruchteil des Preises kauft, der für das Original zu zahlen ist, tut dies im vollen Bewusstsein, eine billige Fälschung zu erhalten.
Welche Risiken gehen von solchen Produkten aus?
Die Erfahrung zeigt: Gleiches Aussehen bedeutet mitnichten die gleiche Qualität und Sicherheit. Letztere haben ihren Preis. Ein Großteil der Fälschungen und Billigprodukte wird aber aus minderwertigen Materialien gefertigt und schlecht verarbeitet. Qualitätskontrollen? Fehlanzeige! Die Risiken werden oft unterschätzt. Dabei reichen sie von im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlicher Elektronik und mangelhafter Funktionalität über zu hohe Schadstoffbelastungen bis hin zu Verletzungsgefahren. Jeder kann sich ausmalen, was passieren kann, wenn ein Brandmelder minderer Qualität bei Rauchentwicklung nicht anschlägt. Und niemand möchte Allergien, ausgelöst durch mit unklaren Chemikalien behandelte Textilien, die direkt auf der Haut getragen werden. Klare Botschaft: Finger weg von solchen Angeboten im Internet oder auf Märkten im Urlaub!
Die Aktion Plagiarius, die jedes Jahr den Negativ-Preis verleiht, will neben Schäden und Risiken auch auf den Nachhaltigkeitsaspekt aufmerksam machen. Worum geht es Ihnen dabei?
In unserer Gesellschaft und damit auch in der legalen und seriösen Wirtschaft wird Nachhaltigkeit zu Recht immer wichtiger. Und wer es ernst damit meint, sollte nicht zu Fälschungen und Billigprodukten greifen. Denn sie entstehen meist unter ethisch mehr als fragwürdigen Bedingungen. Einfallslose Trittbrettfahrer und internationale Fälscherbanden scheren sich nicht um Menschenrechte oder Sicherheits- und Umweltstandards. Billigprodukte, die oftmals aus Fernost stammen, verursachen sowohl bei ihrer Herstellung als auch beim Transport zu uns hohe Schadstoffemissionen. Und landen – aufgrund der minderen Qualität – binnen kürzester Zeit im Müll.
Als Dreh- und Angelpunkt des Problems erscheinen die großen Online-Plattformen. Wie lautet Ihre Meinung dazu?
In der Tat überfluten Händler und (Billig-)Plattformbetreiber aus Drittstaaten regelrecht den europäischen Markt – teilweise auch mit ungeprüften und nicht EU-konformen Billigartikeln, darunter auch Plagiate und Fälschungen. Zwar haben die Plattformbetreiber auf Druck der EU-Kommission ihre Anstrengungen im Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie intensiviert. Dennoch finden betroffene Unternehmen dort weiterhin unzählige Angebote für Nachahmungen. Sie kritisieren, dass ein wiederholter Upload rechtsverletzender Angebote problemlos möglich ist – selbst wenn eine nahezu identische Offerte bereits gelöscht wurde. Hinzu kommen fehlende oder unzureichende Kontaktdaten des Verkäufers oder Vertreters in der EU. Kurz: Die Plattformbetreiber haben noch jede Menge zu tun und müssen ihren Worten Taten folgen lassen. Zum Schutz der Verbraucher und zur Wiederherstellung eines fairen Wettbewerbs.
Das Gespräch führte Daniel Boss.