Wasserstoff in der Wirtschaft - Gemeinsamen Prozess starten
Das Thema Wasserstoff ist einerseits ein Hype. Andererseits können viele Fragen dazu noch nicht beantwortet werden. Und dennoch: Die bergische Wirtschaft darf sich dem Thema nicht verschließen.
„Ganz eindeutig: Wir müssen uns mit Wasserstoff beschäftigen. Die Potenziale sind erheblich!“, macht Ralph Oermann deutlich. Er leitet den Stabsbereich Industrie, Innovation und Energie bei der Bergischen IHK. „Wir sollten jetzt überlegen, ob und wie Wasserstoff effizient für welchen Bereich genutzt werden kann.“ Dass das Thema Wasserstoff wichtig ist, sagen alle von der IHK befragten Experten. Unterschiedliche Meinungen gibt es aber darüber, wofür der knappe Energieträger verwendet werden soll.
Die Kommunikation rund um den Wasserstoff ist schwierig. „Wie soll ich einen Unternehmer überzeugen, sich jetzt mit Wasserstoff zu beschäftigen? Ich kann ihm ja nichts Verlässliches sagen – weder zu Verfügbarkeit noch zum Preis“, so Oermann. Dabei ist der Transport im bergischen Städtedreieck etwas einfacher als in anderen Regionen Deutschlands: „Wir befinden uns nah am Wasserstoff-Kernnetz. In dieser Hinsicht sind wir hier privilegiert. Teilweise könnten für den Transport die Erdgas-Leitungen umgenutzt werden.“ Nur: Wer nimmt den Wasserstoff dann ab? Es ist unsinnig, Leitungen zu verlegen, die dann keiner nutzt.
Trotzdem betont er, dass bergische Unternehmen nicht den Moment verpassen dürfen, in dem wichtige Entscheidungen zur Infrastruktur getroffen werden. Er rät: „Ich sollte genau überlegen, ob ich mit Wasserstoff arbeiten kann. Auf dieser Basis lässt sich ein möglicher Verbrauch zumindest grob schätzen, für die Netzbetreiber sind das wichtige Daten, um Ausbauplanungen voranzutreiben.“
Besonders begehrt ist der sogenannte grüne Wasserstoff, dessen Herstellung CO2-neutral ist. Länder wie China haben diesen Markt erkannt und bauen riesige Anlagen, die grünen Wasserstoff mit Hilfe von Solarenergie herstellen können.
Im Gegensatz dazu wird der graue Wasserstoff durch die Dampfreformierung fossiler Brennstoffe wie Erdgas, Kohle oder Öl erzeugt, wobei CO2 entsteht.
Das weiß auch Peter Schniering, CEO der Future Cleantech Architects aus Remscheid: „Die Produktion von grünem Wasserstoff durch Photovoltaik ist aufwändig, da viel erneuerbarer Strom benötigt wird. In einigen Ländern wie auch Saudi-Arabien entstehen riesige Anlagen, in denen der teure und gleichzeitig knappe grüne Wasserstoff produziert wird.“
Er betont: „Wir sind ganz klare Unterstützer von grünem Wasserstoff. Wir arbeiten auch auf EU-Ebene viel zu diesem Thema. Gleichzeitigt müssen wir aber auch sagen: Es ist ein Hype, der einfach nicht in alle Bereiche und Sektoren passt.“ 99 Prozent des weltweit genutzten Wasserstoffs seien bislang grauer Wasserstoff und damit eben nicht klimaneutral.
„Aus unserer Sicht macht oft die Elektrifizierung mehr Sinn – wie etwa bei Bussen. Grüner Wasserstoff ist hier völlig ineffizient, weil er zunächst aus grünem Strom hergestellt und transportiert werden muss, und am Ende werden ja auch H2-Busse wieder vom Elektromotor angetrieben. Auch fürs Heizen, für Lkw und private Pkw ist der grüne Wasserstoff keine Lösung. Entsprechende Fördermittel werden hier vergeudet. Wertvoller Wasserstoff würde hier verschwendet und für die Segmente, in denen er unbedingt benötigt wird, knapp bleiben.“ Grüner Wasserstoff ist aus seiner Sicht etwa in der Düngemittelproduktion, als Chemikalie in Prozessen oder in Raffinerien ganz wesentlich; teilweise auch für zukünftigen Flug- und Schiffsverkehr. Auch in der Stahlindustrie sollte genau geprüft werden, wann der Einsatz sinnvoll ist: „Bei der Stahl-Herstellung ist der grüne Wasserstoff effizient, in der Verarbeitung dagegen meistens keine Lösung.“
Deshalb fordert Schniering, keine Luftschlösser rund um den Wasserstoff zu bauen. „Ich halte aber viel davon, wenn sich Unternehmen im Bergischen Städtedreieck unabhängig informieren, kalkulieren und wirklich checken, was sie brauchen.“ Er sieht gerade im Bergischen Chancen in der Produktion von Komponenten für Unternehmen, die in anderen Ländern grünen Wasserstoff herstellen. „Wir haben zum Beispiel eine ganz wichtige Maschinenbau-Industrie mit Spezialisierungen – sie können in der Zukunft ihr Know-how an die Hersteller von Elektrolyseuren und viele anderen Komponenten klimaneutraler Wertschöpfung verkaufen.“
„In Ländern mit mehr Sonneneinstrahlung kann durch Solaranlagen Wasserstoff viel günstiger produziert werden. Die Frage des Transports ist da noch einzurechnen, doch grundsätzlich ist so ein kostengünstiger Import möglich“, erklärt Mike Giera, Bereichsleiter und Prokurist im Geschäftsbereich Netze der EWR GmbH im Stadtwerke Remscheid-Verbund.
Auch Mike Giera appelliert an Unternehmerinnen und Unternehmer, sich mit dem Thema zu beschäftigen. „Viele Fragen sind tatsächlich nicht zu beantworten. Deshalb würde jetzt niemand von Erdgas zu Wasserstroff wechseln.“
Und doch bleibt es ein Thema, das essenziell ist: Schließlich ist festgelegt, dass Deutschland CO2-frei werden soll. Insofern wird es ab 2045 kein fossiles Erdgas im Verteilernetz mehr geben. „Deshalb muss ich als Unternehmen überlegen, ob ich den Weg in die vollständige Elektrifizierung gehen will, oder ob Wasserstoff meine Zukunft ist“, betont Mike Giera.
„Gerade, was die Infrastruktur betrifft, gibt es ja auch Chancen im Bergischen Land: Einige bestehende Netzbereiche könnten umgewidmet werden; es gibt gute Möglichkeiten, an das Kernnetz heranzukommen“, sagt Giera. Ein Wasserstoff-Verteilnetz aufzubauen, mache wiederum nur Sinn, wenn der Bedarf besteht: „Wir als Infrastrukturunternehmen müssen wissen, ob es überhaupt die Kundinnen und Kunden gibt. Deshalb wäre es so wichtig, dass wir hier einen gemeinsamen Entwicklungsprozess starten. Lohnt es, Gasleitungen zu erneuern, wenn sie marode sind? Wie soll sich unsere Infrastruktur entwickeln? Wie sollen wir den Ausstieg aus Erdgas hin zur Wasserstoff-Versorgung realisieren? Das sind Fragen, die wir nur gemeinsam lösen können.“
Abgesehen davon, dass grüner Wasserstoff genutzt werden soll, muss er auch produziert werden. Ein Unternehmen, das hierfür die benötigten Maschinen herstellt, ist Sunfire mit einer Produktionsstätte in Solingen. 2022 hat der Hersteller von Elektrolyseuren den ehemaligen Galvanik-Spezialisten MTV NT in Solingen übernommen und 2023 eine Erweiterung der bewährten Galvaniklinie eingeweiht. Die hier beschichteten Zellen sind Bestandteil der Druck-Alkali-Elektrolyseure für Wasserstoffprojekte bis in den dreistelligen Megawatt-Maßstab.
Gut 30 Millionen Euro investiert das Unternehmen hier. Geschäftsführer in Solingen ist seit diesem Jahr Sven Elmers. Er sagt, Solingen nehme im Firmengeflecht eine wichtige Rolle ein. Die Wasserstoff-Projekte weltweit würden größer. Bis 2030 plane Sunfire, eine Produktionskapazität im Multi-Gigawatt-Bereich aufzubauen – um groß angelegte grüne Wasserstoffprojekte in Europa und weltweit zu beliefern. Dafür brauche es auch in Solingen entsprechendes Fachpersonal: „Wir hatten vergangenes Jahr gut 50 Mitarbeiter. Mit dem Ausbau der Produktionskapazitäten werden wir auch personell am Standort wachsen.“ Leitmarkt für die Elektrolyseure sei derzeit Europa, hier sehe man enormes Potenzial. Aber man beobachte auch die Entwicklungen außerhalb Europas. China und die USA spielten aber derzeit keine Rolle.
Der anfängliche Hype sei vergangen – das sei aber auch gut so. Insgesamt sehe man nun eine stabile, gesunde Marktentwicklung und habe eine bessere Planungsgrundlage gegenüber den Vorjahren, sagt Elmers und sieht Sunfire gut gerüstet, eine führende Rolle im Markt zu spielen.
Die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) setzen seit dem Jahr 2020 Wasserstoffbusse im öffentlichen Nahverkehr ein. „In den Fahrzeugen wird Wasserstoff in einer Brennstoffzelle in elektrische Energie umgewandelt, die den Motor antreibt“, so WSW-Vorstandsvorsitzender Markus Hilkenbach.
„Dabei entsteht ausschließlich Wasserdampf, wodurch keinerlei schädliche Emissionen freigesetzt werden. Die Busse sind besonders umweltfreundlich und tragen zur Förderung des Klimaschutzes im öffentlichen Nahverkehr in Wuppertal bei. Aktuell umfasst unsere Flotte an Wasserstoffbussen 52 Fahrzeuge, darunter seit diesem Jahr auch 13 Gelenkbusse. Das entspricht etwa 18 Prozent unserer gesamten Busflotte.“
Er beschreibt die Vorteile der Wasserstoff-Technologie so: Gegenüber batterieelektrischen Fahrzeugen seien die größeren Reichweiten (eine Tankfüllung reicht für 350 bis 400 Kilometer aus) sowie der kürzere Betankungsvorgang effizient. Das Volltanken dauere zwischen zehn und zwölf Minuten, gehe also sehr viel schneller als das Laden von Elektrobussen. „Beides sorgt dafür, Ausfall- und Standzeiten zu vermeiden und die Verfügbarkeit der Busse im täglichen Betrieb zu erhöhen.“
Für den Betrieb der Fahrzeuge wurden das Fahr- und Werkstattpersonal geschult und die entsprechende Infrastruktur geschaffen. Im Februar 2025 wurde die eigene Wasserstoff-Tankstelle auf dem Betriebshof Nächstebreck eröffnet. „Mit der neuen Tankstelle stellen wir den effizienten Betrieb unserer Wasserstoffbus-Flotte sicher“, betont Hilkenbach.
Voraussetzung für alle die positiven Effekte sei, dass die Verkehrsunternehmen wirtschaftlich in der Lage sind, emissionsfreie Busse langfristig anzuschaffen und zu betreiben. Das Auslaufen der Fahrzeugförderung im Jahr 2024 führe jedoch zu großen Problemen, die den Transformationsprozess verlangsamen. Deshalb seien etwa stabile und zuverlässige wirtschaftliche Rahmenbedingungen entscheidend, um die Antriebswende erfolgreich zu gestalten. Diese könne auch durch eine Beschäftigung mit dem Thema Wasserstoff entstehen. Die Stadtwerke erweitern kontinuierlich ihr Wissen – auf praktische Art oder per Wissensausstausch.
Grundsätzlich sagt Hilkenbach: „Die Wasserstofftechnologie im öffentlichen Nahverkehr bildet für die WSW einen zentralen Pfeiler der langfristigen Strategie zur Unterstützung umweltfreundlicher und nachhaltiger Mobilitätskonzepte.“
Text: Eva Rüther und Eike Rüdebusch